Saturday, 4. December 2010
Wochenend-Gedanken-Schnipsel 2: Kerry
Wie jeder bekanntlich weiß verkaufen sich zweite Teile immer besser als erste Teile, obwohl sie künstlerisch bei weitem nicht so anspruchsvoll sind wie der erste. Was, wenn ich darüber nachdenke irgendwie ja gar nicht stimmen kann. Schließlich wird man den zweiten Teil ja nur lesen, wenn man den ersten auch gelesen hat und wie soll sich denn da der zweite besser verkaufen können als der erste. Zum Glück ist dies auch vollkommen egal, da es einen Punkt sehr schön verdeutlicht, an den ich mich als möchtegern Autor selbstverständlich auch halten werde. Einfach keine Mühe geben und das imaginäre Geld einheimsen. Sollen meine zahllosen (drei) Fans doch davon halten was sie wollen. Wer braucht schon virtuelle Fans, wenn er imaginäres Geld haben kann. Wäre es anders würde Hollywood schließlich nicht so erfolgreich sein. Oder Steven King. Oder Popstars. Hier also der zweite Teil meiner Wochenend-Gedanken-Schnipsel - Kerry:


12 Uhr irgendwas am Morgen. Ich erwache aus einem traumlosen, doch erholsamen Schlaf. Lange habe ich mich nicht mehr so frisch gefühlt, nach einer durchzechten Nacht. Ob es an dem angenehm monotonen Rauschen des Motors lag, an der kühlen Morgenluft in den grün beweideten, weiten Bergen oder dem geborgenen Gefühl, welches der süße Duft meiner Sitznachbarin verströmt, vermag ich nicht zu sagen. Der zarte Lilienduft ist mittlerweile einer süßeren Note ihres Parfüms gewichen. Es ich nicht mehr recht auszumachen welcher Blume diese Nuance folgt, doch weiß ich, dass egal was hier auf mich zukommen mag, ich bin bereit dafür. Aber wo ist dieses HIER eigentlich? Ein Blick auf die vorbeiziehende Landschaft verrät jedenfalls, dass wir Dublin lange hinter uns gelassen haben und die Stadt gegen den verschwommenen Anblick von Wiesen, Feldern und Klippen eingetauscht haben. Rechts von uns zieht eine blau gepunktete Schafherde über das Grass, gefolgt von ihrem äußerst wetterfest eingekleideten Hirten. Ab und an wird sie von einer kleinen Steinmauer aufgehalten, welche sie von dem Grundstück des Nachbarhirten fernhalten soll auf dem sich die rot gepunkteten Schafe tummeln und zufrieden ihren leeren Blick in die Landschaft schweifen lassen. Genau wie ich. Dem Hirten währenddessen durchströmt mit jeder seiner Bewegungen eine Gelassenheit, die darauf deutet, dass er sein Leben lang nichts anderes getan hat als auf seine Schafe aufzupassen und zufrieden feststellt, dass er in seinem Leben nichts anderes mehr machen wird, falls alles in seinen Bahnen bleibt. Womöglich hat er noch nie etwas anderes gesehen als seine irische Insel und doch lässt sich mit einem Blick sagen, dass er nichts in der Welt vermisst. In seiner Gegenwart erscheint die irische Insel wie ein Zufluchtsort in der modernen Welt, ein Ort in dem sich über die Jahrhunderte nichts verändert hat und der technologische Fortschritt höchstens mit elektrischen Licht und der Zentralheizung Einzug gehalten hat. Dieser Eindruck mag natürlich trügerisch sein, doch scheint es auf dem Land doch vieler Orts an Hektik und Wandel zu fehlen. Als wären die Schattenseiten der Globalisierung doch noch nicht in allen Winkeln der Welt angekommen. Und so ist der Hirte mit seiner Herde eines der Urtümlichkeiten des irischen Irlands, für das ich ausgezogen bin.

Auf unserer linken Seite breitet der weite Ozean seine grenzenlosen Wasser aus und umspült die steilen Felshänge mit endlosen Wogen. Welle um Welle prescht an die unnachgiebigen Gestade aus massiven Stein und hundert Meter darüber fahren wir weiter die Straße entlang. In dem kühlen, doch äußerst klarem Wetter erscheint das grau blaue Wasser an der irischen Küste, wie ein Tor in das unendliche Nichts. Hinter dem Horizont verbirgt sich nichts mehr als Wasser. Bis hin zu Amerika finden sich nur Welle um Welle, die im Rhythmus des Windes und der Strömung gegen die Gestade preschen. Ein wenig melancholisch werde ich bei dem Gedanken, dass die See nun alles ist was mich von den Ufern New Yorks trennt. Ein Gedanke der so zahllose Iren schon auf einem Segler anheuern ließ, oder auch den Bau der Titanic veranlasst haben mag, welche ja auch hier irgendwo in Irland vom Stapel gelaufen sein soll. Dies ist also Kerry. Das irische Irland, welches wohl nur noch von Galway oder den Klippen von Moher an Irischness überboten wird. Ein zutiefst beruhigender Anblick, welcher zu einer inneren Zufriedenheit bei mir führt, die diesen Moment zu einem der besonderen werden lässt. Eine Weile genieße ich den Ausblick noch, bis hier und da ein kleines Haus aus Felssteinen in der Landschaft aufblitzt und gleich wieder hinter einer Bergkuppel verschwindet. Ab und an passieren wir sogar ein kleines Dörfchen, in welchem abgesehen von einem Morgans, einem Auld Oak oder O'Brians Pub nichts, aber auch gar nichts nach geschäftlichem Leben aussieht.

Nun frage ich mich allerdings doch ein wenig wo wir eigentlich sind. Und wo wir hier am westlichen Rand von Irland erwarten anzukommen. „Ey Pals! Sorry to bother you, but where is this trip actually heading to?“ höre ich mich sagen und warte dösend auf eine Antwort: „It's not a matter where we are going to. It only matters what we are doing where ever we are. And at the moment we are pleased with driving through the countryside.“ Und irgendwie hat er ja auch recht damit. Bis vor einen Augenblick war ich vollkommen damit zufrieden einfach nur durch die grüne Landschaft gefahren zu werden und meinen Blick durch Kerry schweifen zu lassen. Hier und da ließ ich meine Aufmerksamkeit von einer Pferdeherde auf den Bergkuppeln einfangen oder genoss den Anblick einer kleinen Burgruine, eines Klosters womöglich, lang verlassen. Doch dank dieser unbefriedigenden Antwort kann ich nun an nichts anderes mehr denken, als endlich zu erfahren wo es hingehen soll. Wie kann er meine Frage nur so abspeisen. Glaubt er etwa, dass ich ihm ohne weiteres Glaube, dass wir nur nach Kerry rausgefahren sind, um ein wenig in der Landschaft herumzufahren? Glaubt er, ich denke wir drehen einfach irgendwann um und fahren wieder Richtung Dublin? Einfach weil der Fahrer gerade so drauf ist? Aus purer Lust und Laune? Dieser verfluchte Hippi, denke ich mir und ertappe mich, wie ich mich abrupt gegen diesen Gedanken sperren, der doch auch mich bis jetzt vollkommen ausgefüllt hat. Jetzt ist aber Schluss mit dem melancholischen dösen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. 'At the moment we are pleased with driving through the countryside.' PAH. So ein Unsinn. „Seriously Guys. Where is this fucking trip heading to?“ Darauf muss er Antworten. Wenn ich schon ein zweites mal frage und dann auch noch energisch, bleibt ihm ja gar keine andere Wahl. Und zum Glück liege ich mit dieser Vermutung auch ganz richtig. Nach einem kurzen verdutzten Blick nach hinten sagt der Beifahrer nämlich: „It's supposed to be a surprise, but if you want to spoil it, grand. We are going to kill Arney. If you like it or not.“

Was für ein dämlicher Spruch ist das denn. Dieser Typ schafft es noch mir meine gute Morgen Stimmung zu versauen. Erst geht er meiner Frage aus dem Weg und nun macht er noch einen dummen Witz um mir eine anständige Antwort schuldig zu bleiben. „Very funny guys. But you should know that I'm normally not joining some total strangers into their weekend trips to a remote edge of the world, without even knowing where it's going to end. So just tell me where we are going!“ Und ein weiteres mal treffe ich auf taube Ohren. Was haben sich diese verfluchten Baumliebhaber nur eingeschmissen um solch einen schlechten Humor zu entwickeln: „We are going to kill Arney and there is nothing you can do about it. Maybe you shouldn't join weekend trips of total strangers if you can't stand the consequences. And if you don't stop nagging, I gone put an end to this, right now!“

Dies war bei weitem noch nicht das Ende dieser Unterhaltung. Doch umso länger sich das Gespräch mit dem Beifahrer hinzog, desto mehr geriet es sich im Kreis zu drehen. Das einzige was sich mit jedem Durchlauf veränderte war, dass er genervter und genervter von mir wurde und ich mehr und mehr in Panik geriet, dass er vielleicht doch keinen Scherz gemacht hat. 'Kill Arney!' klingt es immer und immer wieder in meinem Kopf. Hier kann doch was nicht stimmen. Ich hab mich ja schon damit abgefunden nun nicht mehr der Arne aus Dublin zu sein und in Kerry mein weiteres Auslandslebensjahr zu gestalten. Vielleicht wäre ich ja sogar einer dieser Schäfer geworden, die so gemütlich an uns vorbei gezogen sind. Doch das geht mir eindeutig zu weit. Es ist eines sich einem spontanen Wochenendtrip nach Kerry anzuschließen aber etwas vollkommen anderes nun das Opfer einen hinterhältigen Entführung zu werden. Wer kann schon sagen, ob ich wirklich in einem Auto voll Hippies gelandet bin. Ist es nicht genauso gut möglich, dass ich es hier mit einer irischen Mansonfamilie zu tun habe, die es auf ahnungslose ausländische betrunkene Studenten abgesehen hat. Oder vielleicht sind das ja die letzten Überbleibsel der IRA, die in mir sowas wie nen Sinnbild für den Verlust der irischen Werte und der Globalisierung und Zeug sehen und von daher ein Exempel an mir statuieren wollen. Ist ja auch viel wahrscheinlicher. Erst locken sie ein Opfer mit Schnaps, Bier, Wein, Gesang und der Einladung eines verführerischen Mädchens und Zack ist man in der Falle. Deswegen haben die auch gestern so exzessiv gefeiert. Das war alles eine wilde Orgie am Vorabend der richtigen Bescherung. Ein Blutopfer für ihren satanistischen Gott, ihren geisteskranken Sektenführer oder wen auch immer. Bestimmt haben sie sich alle in der Küche getroffen als ich mal kurz auf Klo war und haben mich als ihr nächstes Opfer ihrer mörderischen Pläne auserkoren. Haben sie sich nicht auch gestern Abend die ganze Zeit diese verschwörerischen Blicke ausgetauscht? Oder bilde ich mir das jetzt nur im Nachhinein ein? Nein eigentlich bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher, dass hier was im Argen liegt. So etwas passiert doch nie ohne Hintergedanken. Wer lädt denn einfach aus purer Freundlichkeit einen Fremden zu ner Spritztour ein. Es handelt sich hier also um eine Verschwörung. Ganz sicher eine Entführung mit Mordabsichten. Dass der Beifahrer nicht peilt, dass er gerade die finsteren Absichten direkt in das Gesicht des Opfers gesagt hat, liegt wohl daran, dass er noch benebelt ist von letzter Nacht. Vielleicht hat er auch nur den Namen mitbekommen und weiß gar nicht wer ich bin. 'Kill Arney' das ist schon sehr eindeutig. Wie soll man denn da irgendetwas anderes verstehen, als das offensichtliche? Er weiß sicher nur nicht, dass ich Arney bin. Arne kann hier ja keiner richtig aussprechen. Und genügend mal hab ich auch nachgefragt. Das er eigentlich was anderes gesagt hat, ich mich nur verhörte oder er sich von mir aus auch versprochen haben mag, kann man also ausschließen. Es kann sich nur um unglaubliches Glück handeln, dass ich ihrem satanistischen Ritual auf die Schliche gekommen bin.

Also dann mal an einen Fluchtplan. Wer weiß wie lange die Fahrt noch geht und ob es noch eine Möglichkeit gibt zu fliehen wenn wir erst einmal das alte verlassene Landhaus erreicht haben, zu dem sie mich zerren wollen, von mir aus den versumpften, vermoderten Steinkreis, das verschworene Separatistendorf oder was auch immer. Nein die Flucht muss jetzt erfolgen. Bei der nächsten Kurve, wenn der Fahrer abbremst. Äußerst schnell ist er hier ja eh nicht unterwegs. Mit einem gezielten Hechtsprung kann ich mich sicher über die nächste Steinmauer retten und in die kargen Büsche schlagen. Da kann ich jetzt auch keine Rücksicht mehr nehmen, dass ich wohl meine verhängnisvolle Sitznachbarin wecken werde, wenn ich überraschend den Gurt öffne, die Türklinke herunterreiße und panisch das Weite suche.

Auf drei. Eins. Zwei. „There we are. Kill Arney!“ unterbricht mich der Beifahrer Millisekunden bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte und zeigt auf das nächste Ortsschild. 'Welcome to Killarney!' ist darauf groß zu lesen und ich falle kurz darauf in eine traumlose Ohnmacht.

2 Uhr irgendwas am Nachmittag: Ich erwache im Aufenthaltsraum eines Hostels. Von den anderen ist keine Spur. Auch sonst ist hier rein gar nichts los. Ist vielleicht auch besser so. Nach dem Schock bin ich heil froh, wenn ich von denen erst mal keinen so schnell wieder sehe. Keinen? Mh... Ja erst mal keinen so schnell wieder sehe. Aber wer kann auch ahnen, dass sie hier in Irland wirklich einen Ort Killarney nennen. Ich meine, wie stehen denn dafür die Chancen bitte! Und dass die Spritztour dann auch noch direkt dahin führt. Eigentlich doch vollkommen unmöglich würde man denken. Aber vielleicht ist es in diesen Situationen auch viel besser ein wenig vom Denken Abstand zu nehmen und das Glück auszunutzen so lange man es hat. Ich mach mich jedenfalls von den unglaublichen Chancen beflügelt am besten gleich in den nächsten Supermarkt auf und kaufe ein paar Lotterielose. Da muss ja förmlich der Jackpot auf mich warten. Am besten ich hole mir diese Rubbellose. Da kann ich meinen Gewinn gleich bar auf die Hand haben. Der Jackpot ist zwar nur 10.000 Euro aber man möchte ja auch nicht zu gierig wirken. Auf dem Weg dahin kann ich mich auch gleich ein wenig umsehen. Nur nichts wie raus aus diesem Hostel. Der Rezeptionist hat schon so ein komischen Blick auf mich geworfen. Und diesmal bilde ich mir das keineswegs ein. Auf der Straße scheint nicht viel los zu sein. Im allgemeinen scheint in Killarney nicht so viel los zu sein. Aber wenigstens verspricht das Wetter recht sonnig zu bleiben, obwohl man sich da nie so sicher sein kann. Schließlich wurde man schon oft genug vor den unvorhergesehbaren Regenschauern gewarnt. Wohin soll es nochmal gehen? Ah ja. Rubbellose... und ein wenig Tabak wäre auch nicht schlecht. Rubbellose, Tabak und eine Kleinigkeit vom Bäcker. Genau. Das sind jetzt die Prioritäten. Aber als aller erstes Rubbellose. Dann weiß ich gleich wie viel Geld ich fürs Frühstück auf den Kopf hauen kann. Wer würde sich denn schon mit einem kargen Croissant abgeben wenn er gerade 10.000 Euro in Rubbellosen bei sich trägt. Da sollte es dann doch eher das Ritz in Killarney sein. Oder eben ein entsprechendes Restaurant was sich hier finden lässt. Nur noch ein kurzer Check ob alles noch da ist und dann geht’s los auf die Straße: mein Hut ist noch auf dem Kopf, die Brille auf der Nase, die Tasche um die Schulter geschwungen und die Pfeife... die kommt am besten gleich in den Mund. Nur wo ist denn eigentlich mein Regenschirm? Hab ich den überhaupt mitgehabt? Das lässt sich wohl im Moment nicht nachvollziehen. Am besten ich merke es mir einfach und schaue das nächste mal wenn ich wieder in Dublin bin zu Hause vorbei um zu gucken ob er nicht doch in meinem Zimmer abmarschbereit neben der Tür lehnt. Ich werd sicher nach drei oder vier Monaten eine Gelegenheit finden meine Schafe von dem rotgepunkteten Schäfer babysitten zu lassen und mir eine nette Hippigemeinschaft suchen, die mich übers Wochenende nach Dublin mitnimmt.

Die Rubbellose haben mir leider nicht den erhofften Jackpot vergönnt, aber dafür konnte mir der Verkäufer das 'Neptune Hostel' empfehlen. Dort scheinen seid gestern einige Studenten aus der Hauptstadt eingekehrt zu sein, zu denen mich der Ladenbesitzer im ersten Momenten sogar zuordnete. Vielleicht kann ich mich ja einfach bei einer Gruppe dazustellen und so tun als wäre ich schon die ganze Zeit dabei gewesen. Ist auf jeden Fall besser als Killarney allein zu erkunden. Wenn es hier überhaupt noch etwas gibt, dass ich noch nicht bei meinem kurzen Spaziergang zum Supermarkt gesehen habe. Nur noch schnell ein Tabak und Frühstück gekauft und schon kann's weiter gehen. Die Mahlzeit fällt am Besten flüssig aus Carlsberg oder Beamish. Was auch immer billiger ist. Mit nem Stout in der Hand und der Restfahne von gestern sollte ich mich jedenfalls perfekt in die Studentengruppe einfügen können.

Als ich am 'Neptune Hostel' ankam wurde ich auch sogleich in einen der Reisebusse der Studenten geschoben, um zu den Sehenswürdigkeiten der Region zu fahren. Nun hab ich ja in den letzter Zeit ein wenig an Spontanität dazugewonnen und fühl mich auch recht in der Stimmung auf touristischen Museumsspass. Also melde ich mich einfach wahllos als die Namen für die Anwesenheit ausgerufen werden und versuche mich unauffällig und geschmeidig mit ein paar Studenten vertraut zu machen. Glücklicherweise habe ich mich direkt in ein Bündel von französischen Austauschstudenten gesetzt, welche alle kaum ein Wort von dem verstehen was ich sage und selbst für die simpelsten Antworten eine halbe Ewigkeit brauchen. Ich möchte ja nicht Allgemeinplätze über Franzosen loslassen und hier einmal mehr das Klischee des sprach-intoleranten Franzosen bestärken, aber auf der anderen Seite war der halbe Bus gefüllt mit dieser spezifischen, im allgemeinen Durchschnitt sicher verschwindend geringen Art von Franzosen. Soll mir recht sein. So fällt es wenigstens nicht auf, dass ich neu bin. Sicher finden sich über den Tag auch noch andere Gesprächspartner. Bei einer gemütlichen Museumstour lässt es sich doch unverfänglich ins Gespräch kommen, während man von einer älteren Dame oder einem gelangweiltem jungen Iren Fakten über die Region, ihre späte Elektrifizierung, den Widerstand gegen die englische Besatzung oder auch Halbwahrheiten über die Zeit der Wikinger in Irland an den Kopf geschmissen bekommt und auf Anhieb auch schon wieder vergessen hat. Wo lässt es sich besser Kontakt schließen als bei dem Anblick eines urtümlichen Wasserfalls inmitten des Killarney Nationalparks bei bestem Sonnenschein? Womöglich nur bei einem Besuch in einem beeindruckenden Landhaus des früheren Lords oder bei einem Spaziergang durch einen grotesk gepflegten englischen Garten, ohne je sagen zu können, dass es sich um einen englischen Garten handelt. Schließlich ist man ja in Irland und in Irland käme man nie auf die Idee auch nur irgendetwas Englisches zu übernehmen. Gerade von diesen Engländern nicht, die ja all die Jahrhunderte ihre Besatzung über Irland mit berühmt und berüchtigten eisernen, erbarmungslosen Blasiertheit durchgesetzt haben. Dass es an jeder Ecke Fish and Chips zu kaufen gibt, Yesterday trotzdem zu den berühmtesten Publiedern zählt und Irisch unter den Iren immer noch als tote Sprache gilt, hat damit ja nun wirklich nichts zu tun. Wie auch immer es sich abspielen mag, wird sich schon ein Gesprächsthema und ein Gesprächspartner finden lassen.

21Uhr irgendwas. Nach zahlreichen Stunden voller Ausblick, Natur, Kultur, Geschichte und Zeug sind wir wieder in Killarney angekommen. Hier nennen mich die Leute bereits vertraut Bob und der Präsident des Reisekomitees hat mir ein Bett im Zimmer der Organisatoren verschafft. Ein bisschen frage ich mich noch was nun eigentlich aus Robert Patrick Fitzpatrick geworden ist, dessen Platz ich im Bus eingenommen habe. Aber wie wir so im irischen Pub sitzen der urtümlich irischen Irish-Folk Band zuhören und urtümlich irischen Jameson Whiskey trinken (denn der irische Whiskey nennt sich Whiskey und nicht Whisky) verliert sich dieser Gedanke so schnell wie er gekommen war. Und irgendwie heißt hier ja jeder Robert Patrick oder wenigstens Fitzpatrick. Wie hätte es auch anders sein können, wird gerade Yesterday in einer äußerst verschrammelten Pubversion zum besten gegeben als der Schweizer von der Bar wiederkommt. Das ist dann aber auch das Letzte Pint bevor es weiter in den Nachtclub geht. Seid 19 Uhr wechseln sich der Schweizer und ich schon ab mit den Gängen zum Barkeeper. Sei es um einem den Weg zu sparen oder auch nur um die sozialen Geflogenheiten der Kontaktvertiefung unter Alkoholikern zu fröhnen. Wenn der andere einen auf ein Bier einläd, dann läd man den anderen eben danach auf ein Bier ein. Klar hätte man auch sein eigenes Bier holen und bezahlen können, schließlich läuft es im Idealfall auf nichts anderes hinaus. Aber auf diese Weise kommt man sich doch viel sozialer vor.

22Uhr im Nachtclub. Tatsächlich hat Killarney einen Nachtclub. Leider ist von diesem nicht viel zu erkennen. Ein paar unglaublich Betrunkene der Dorfjugend sind am Eingang noch zu erkennen gewesen, auch wenn ich nicht so recht nachvollziehen kann, wie man um diese Uhrzeit schon dermaßen betrunken sein kann. Schließlich haben wir uns auch nicht gerade zurückgehalten und sind mit unserem Pegel bei weitem noch nicht auf ihrem Niveau. Aber wer seid Jahren eine Sperrstunde um 22 Uhr in seine Tradition übernommen hat (ich möchte ja nicht sagen, dass diese Tradition vielleicht von England eingeführt worden sein könnte), der weiß wohl den ein oder anderen Trick, wie man auch in wenig Zeit das meiste aus der Alkoholsortiment herausholt. Nachdem wir nun die betrunkene Dorfjugend passiert haben betreten wir tanzwütig den Club. Oder besser gesagt, wir betreten ein Meer aus Trockeneisnebel, der von allen erdenklichen Richtungen in den Saal geblasen wird. Ich hatte ja schon länger den Eindruck, dass es in den irischen Nachtclubs nicht besser um die Tanzenden bestellt ist als in den Diskos Hohenschönhausens, aber dass sie sich dafür schämen ist mir neu. Nun gut. Seien sie unter den Wogen von Nebel versteckt. Die Gruppe mit der man hergekommen ist lässt man einfach nicht weiter als eine handbreit von sich entfernen und die Bargänge bestreitet man bei späterer Stunde eh besser zu zweit. Hier ist die Gefahr einfach zu groß das Guinness des anderen versehentlich über einen muskelbepackten Einheimischen zu gießen, weil man keinen Pfad durch die Menge findet und von jeder Seite versehentlich angerempelt werden kann. Wenn man nicht gerade selbst versehentlich allemöglichen Leute anrempelt.

2 Uhr irgendwas. Nun ist aber auch mal gut mit Kustnebel. Da kann man ja genauso wenig Atmen wie im Abbey Theatre. Und irgendwie habe ich auch den Verdacht, dass es sinnlos wäre zu versuchen sich meine erschnorrte Zigarette in diesem Dunstkeller anzuzünden. Ein Feuerzeug braucht ja schließlich auch Sauerstoff zum atmen, wenn man das mal so sagen darf. Also mal mit dem Schweizer vor die Tür gegangen und eine geraucht. Ist ja jetzt auch die erste seid Stunden. Dieses Rauchverbot, richtig durchgesetzt verleitet einen wirklich weniger zu rauchen. Da muss ich mich langsam ernsthaft dem Gedanken stellen, ob mich das nicht in meiner persönlichen Raucherfreiheit einschränkt. Aber sei's drum, heute ist jedenfalls nicht der Tag an dem man in wildem Protest ausbricht. Das heißt ja nicht, dass man sich nicht lautstark über die Vorzüge unserer Berliner Raucherklubs und Raucherräume in Bars unterhalten kann. Ist zur Abwechslung auch nett mal wieder ein Wörtchen in Deutsch zu unterhalten. Und wie sich herausstellt hat der Schweizer sogar einen Namen. Max nennt sich der Knabe aus den Alpen. So stehen wir vor dem Eingang des Clubs und tauschen uns über irische Irischness aus, was alles in Deutschland anders ist, was alles in der Schweiz anders ist und wie unglaublich cool es doch ist in Berlin zu wohnen. Ein Thema an dem ich eigentlich noch nie vorbeigekommen bin, nachdem zur Sprache kam, dass ich aus Berlin komme. Ich habe langsam sogar den Eindruck, dass es für so ziemlich jeden anderen vollkommen unverständlich ist, warum ich aus Berlin nach Dublin gekommen bin, wo doch jeder eine Meinung über Berlin hat und jeder früher oder später schon einmal da war, wieder hin will oder nach einer Möglichkeit sucht längere Zeit nach Berlin zu kommen. Das erklärt wenigstens, warum man an der FU so unglaublich viele Zugezogene findet. Student in Berlin zu sein, scheint jedenfalls unglaublich hip und wenn man dann noch 100 Euro Begrüßungsgeld erhält, erübrigt sich jede weitere Diskussion. Nach der zweiten oder dritten Zigarette in der Kälte mischt sich überraschenderweise ein anderer Clubgänger in unser Gespräch, da er mitbekommen hat, dass wir uns auf Deutsch unterhalten. Normalerweise ist es keine große Sache, sich auf Deutsch zu unterhalten und man wird sogar eher etwas ausgeschlossen sobald man in die Muttersprache wechselt. Ist ja auch nur verständlich, schließlich haben die anderen ja keinerlei Schimmer über was man sich da eigentlich unterhält. In dieser Situation hat es sich allerdings aus einem guten Grund anders ergeben. Diese vollkommen nüchterne Person namens Jack hat uns bewusst wegen unseres deutsch sprechens angesprochen. Er scheint ein Freund des Präsidenten des Reisekomitees zu sein und dreht gerade einen Studentenfilm in Galway. Er berichtet uns, dass er nach Killarney gefahren ist um seinen guten Freund den Präsidenten zu besuchen und hat von ihm erfahren, dass es auch ein paar Deutsche in der Reisegruppe gibt. Weiter erklärt er uns, dass er gestern Nachmittag in einem riesigen Streit mit einem seiner Schauspieler auseinander gegangen ist, welcher kurzerhand das Set verlassen und seine Rolle geschmissen hat. Der Grund warum er gerade an uns herangetreten ist, ergibt sich daraus, dass er einen Kurzfilm über einen Deutschen Wehrmachtsoffizier dreht und dieser Schauspieler die Nebenrolle eines deutschen Soldaten spielen sollte. Seid dem versucht er verzweifelt das Drehbuch umzuschreiben oder einen Ersatz für seine Rolle zu finden, hatte allerdings bis jetzt so kurzfristig keinerlei Glück dabei. Und hier kommen wir ins Spiel. Da Max leider das Kostüm nicht passen würde bietet er mir kurzerhand die Nebenrolle für einen Drehtag in Galway an. Zum Ausgleich kümmert er sich um Kost und Logis versteht sich.

Schiebt es auf den Alkohol oder von mir aus auch auf meine neugewonnene Spontanität aber ich habe keinen Moment gezögert um dieses verrücke Angebot anzunehmen. Ein Sonntag auf einem Filmset in Galway. Wer könnte da nein sagen, der nicht gerade bei vollem Verstand ist. Aber was es nun mit Galway auf sich hatte, bleibt wohl vorerst in der Hand des Schriftstellers und ein paar ausgewählter Eingeweihter. Oder wie man es auch mit großen Worten schöner sagen kann: Galway ist eine andere Geschichte.

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Wenigstens stehle ich euch nur eure Zeit
Sieben Tage ist es jetzt her. Und ich hab die letzte Woche mit warten verbracht. Wie in einer Bushaltestelle habe ich darauf gewartet, dass sich die Dinge endlich wieder zurück zum Normalzustand begeben. Ich konnte mich nicht einmal aufraffen das Haus zu verlassen um selbst eine Veränderung einzuleiten. Welche Veränderung hätte das auch sein mögen? Stattdessen habe ich so getan als wäre es nicht eine Sache die von mir ausgeht, sondern etwas, dass zum richtigen Zeitpunkt schon an mich herangetragen wird. Die Veränderung meine ich. Natürlich kam mir in den letzten Tagen öfter der Gedanke etwas zu tun und wieder zurück in den normalen Alltag zu wechseln. Doch kam ich nie auf die richtige Idee was zu tun ist oder wie ich zu handeln habe um alles wieder zu richten. Es ist eben nicht damit getan einfach den Fuß vor die Tür zu setzen und irgendwas anzufangen. Was sollte man auch schon anfangen. Eigentlich hat sich ja gar nichts geändert. Nichts das sich mit dem Schritt aus der Haustür wieder einrenken lässt. Am Ende würde man doch nur einen Spaziergang um den Block machen und danach mit dem Gefühl unverrichteter Dinge wieder zurück in sein Zimmer stapfen. Der Sinn nach Zerstreuung steht mir im Moment sowieso nicht. Jedenfalls nicht der Art Zerstreuung die eine Großstadt für mich bereit halten kann. Oder die Art Zerstreuung, welche die Gesellschaft von flüchtigen Bekanntschaften bietet. Es gibt wohl manchmal Tage in denen man keine Lust hat sich auf einen Kaffee zu verabreden, sich mit einem durchschnittlichen Kinofilm abzulenken, oder in einer Bar mit einem Pint in der Hand ein Gespräch über Uni, Schneechaos und Lebensgeschichten zu beginnen. Jegliche Gespräche würden sowieso nur um den Zwischenfall kreisen der mir vor sieben Tagen widerfahren ist, immer mit einem leichten Unterton von Mitgefühl, Mitleid und Hilflosigkeit. Dem wäre ich wirklich nicht gewachsen. Noch nicht. Oder besser gesagt in den letzten Tagen noch nicht. Mit dem Mitgefühl würde ich ja noch zurecht kommen. Eigentlich war es sogar ziemlich tröstlich, dass von aller Orts die virtuellen Nachrichten kamen, dass ich mich nur zu melden brauche, wenn ich Hilfe benötige. Auch die kurzen Unterhaltungen mit meinen Mitbewohnern haben dieses Gefühl gestärkt, aufgehoben zu sein im sozialen Netzwerk von Personen die ich vor drei Monaten noch nicht einmal gekannt habe. Es ist tröstlich zu wissen, dass man bei solch einem Vorfall nicht allein da steht und selbst auf neue Freunde zählen kann, wenn einem das Leben mal übel mitspielt. Doch für mehr als ein paar kurze Unterhaltungen konnte ich mich nicht begeistern. Dem wirklichen Problem muss man sich schlussendlich allein stellen. Was ich nicht ertragen könnte wäre der Moment in dem das Mitgefühl in Mitleid umschlägt. Für das was mir widerfahren ist, bedauert zu werden, wie man einen Obdachlosen bedauert, an dem man in den Straßen vorbeizieht. Ich habe mich nie recht in die Rolle des Opfers einfinden können. Natürlich bin ich hier das Opfer, mit all den unangenehmen Konsequenzen, welche diese Rolle mit sich bringt. Aber an den Gedanken im Mitleid einen angenehmen Nebeneffekt zu sehen, kann ich mich nicht anfreunden. Und doch ist es all zu leicht als Außenstehender seine Anteilnahme in wehmütigem Mitleid zu bekunden. Mir mit einem bedauernden Blick gegenüber zu sitzen und mir zu sagen, was für ein Pech ich hatte und den Kopf darüber zu schütteln was für Menschen es doch gibt einem Fremden so etwas anzutun. Allein bei dem Gedanken an ein solches Gespräch keimt in mir ein Gefühl des Unwohlseins auf, welches mir mein Elend nur um so klarer vor Augen hält. Statt mich aus dem Gefühlssumpf herauszuziehen, versinke würde ich dadurch nur noch tiefer sinken. Vielleicht hilft mir dieser Gedankengang über die Ablehnung von Mitleid aber auch nur nicht in all zu großem Selbstmitleid zu verfallen. So oder so steht mir nicht der Sinn nach leichter Gesellschaft. Und andere Art der Gesellschaft lässt sich nicht leicht suchen, nur ab und an durch Zufall finden. So habe ich die letzte Woche damit zugebracht mir irgendwelche Serien anzuschauen, ab und an etwas schlechtes zu kochen und mich dann und wann lustlos zu duschen. Zweimal bin ich sogar gegen meine eigene Neigung aus der Wohnung gegangen. Aber das auch nur um zur Botschaft und zur Polizei zu gehen. So etwas hebt die Laune auch nicht gerade.

Sieben Tage ist es nun also her. Am letzten Freitag irgendwann zwischen vier und fünf Uhr mag es passiert sein, dass ich nach einem äußerst angenehmen Abend in der Stadt überfallen wurde. Ich war gerade auf meinem Weg nach Hause. Um ehrlich zu sein wäre ich sogar schon zu Hause gewesen, wäre ich nicht vor meiner Haustür umgekehrt um noch ein wenig durch die Nachbarschaft zu wandern. Ein paar Stunden zuvor hat es überraschend angefangen zu schneien und die Straßen lagen in einem unberührten weiß, wie es oft bei dem ersten Neuschnee ist. In der Nacht haben sich nur ein, zwei Autos auf die Straßen verirrt und die Hektik des neuen Tages war noch nicht angebrochen, sodass die frische Schneedecke unberührt auf dem kalten Asphalt der Straße liegen blieb. Aus diesem Anlass beschloss ich noch ein wenig durch die Straßen zu ziehen und mir die friedliche Landschaft aus Reihenhäusern unter still fallenden Schneeflocken anzuschauen. Wie sich bald darauf herausstellte, sollte diese Entscheidung zu meinem Verhängnis werden. Ich wusste zwar, dass meine Nachbarschaft nicht den besten Ruf hat, doch konnte ich dieser Einschätzung zuvor immer nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Es ist nicht die sauberste Ecke und des nachts kann man auch des öfteren die ein oder andere Gruppe Betrunkener hören, doch war ich davon überzeugt, dass wenn man an die Straßen Berlins gewöhnt ist und wenn man etwas auf sich aufpasst schon nichts schlimmeres passieren könnte. In dieser Nacht musste ich schmerzlich feststellen, dass dem nicht so ist. Selbstverständlich hat es sich schon lange in mein Unterbewusstsein eingeprägt, dass Raubüberfälle überall passieren können und niemand wirklich vor einem Überfall gefeit ist, aber nichtsdestotrotz stellte sich über die Jahre eine gewisse Sorglosigkeit ein, welche durch diesen Zwischenfall arg erschüttert wurde. Ich weiß gar nicht mehr in welche Straße ich zuletzt eingebogen bin, aber plötzlich kamen zwei Leute von hinten an mich heran, stießen mich zu Boden und begannen auf mich einzutreten. Selbst mit einem wachen Auge und gesunden Argwohn hätte sich diese gewaltsame Szene wohl nicht von mir vermeiden lassen können. Mich einfach von hinten zu Boden zu reißen ist wirklich eine der dreckigsten Möglichkeiten jemanden auszurauben. Ich hab wohl kurz darauf das Bewusstsein verloren, da sich nach einigen Tritten ein schwarzer Schleier über mein Gedächtnis legte und ich bald darauf auf der Straße liegend erwachte, meiner Habseligkeiten erleichtert. Mit dröhnendem Kopf und blutender Nase schlich ich mich daraufhin ein paar Straßen weiter, bis ich in einem Haus einer Party gewahr wurde. Glücklicherweise haben die Feiernden sogleich die Polizei gerufen, welche mich zum Krankenhaus gefahren hat. Das heißt erst nachdem wir zusammen im Polizeiauto nochmal durch die Nachbarschaft gefahren sind um herauszufinden wo genau ich ausgeraubt wurde. Auf Grund der zahlreichen Tritte gegen meinen Hinterkopf und dem alles überschattenden Schock den ich im Nachhinein hatte, konnte ich mich allerdings nicht einmal mehr daran erinnern wo diese Typen mich erwischt haben. Es hätte am Ende auch keinen Unterschied gemacht. Die Täter waren so oder so bereits über alle Berge und jeder vernünftige Großstädter weiß, dass die Polizei dir in diesen Momenten keinen Deut weiter helfen kann. Außer natürlich so freundlich zu sein dich deine Personalien aufzunehmen und dich zur nächsten Notaufnahme zu fahren. Erst in dem Gespräch mit den Beamten wurde mir langsam der Ernst der Lage bewusst. Nichts Lebensgefährliches oder Mark erschütterndes ist mir widerfahren, doch bin ich durchaus in eine äußerst ernste Angelegenheit geraten. So saß ich im Polizeiauto auf der Fahrt zum Hospital und mir wurde langsam klar, dass ich weder Bargeld, noch EC-Karte hatte. Ohne Personalausweis oder Führerschein saß ich da. Und zu allem Überfluss wurde mir auch noch mein heißgeliebter Rucksack gestohlen. Der Rucksack den ich noch aus der Karibik hatte und seid dem als eines der Gegenstände in mein Herz geschloss, wie man nur einen Gegenstand in sein Herz schließen kann. Unwillkürlich musste ich an die Ereignisse in der Karibik denken, wie meine Mutter mich auf den Katamaran ihres Freundes einlud und ich wundervolle zwei Wochen auf dem azurblauen Meer unter der strahlenden Sonne verbrachte, das Leben in seiner ganzen Leichtigkeit genoss, bis der Katamaran unter unseren Füßen sank. Damals wie heute fand ich mich in einer äußerst ernsten Lage wieder. Damals war der Hobbykapitän so unachtsam auf ein Korallenriff aufzulaufen, sodass wir nach sechs Stunden bangen von der Küstenwache geretten wurden mussten. Ohne Rucksack, ohne Hab und Gut, aber damals wenigstens mit unseren Papieren. Heute musste ich keine sechs Stunden auf meine Rettung warten aber dafür verbrachte ich die nächsten drei Stunden, nachdem mich die Polizei bei der Hospitalrezeption abgeliefert hat, mit dem warten auf meine Röntgenbilder. In diesen drei Stunden war eigentlich jeder davon überzeugt, dass meine Nase gebrochen war, doch wie sich herausstellte, war ich nur sehr gut auf altmodische weise verprügelt worden, ohne größere Schäden davon getragen zu haben. Jetzt, sieben Tage später, sind die Schwellungen schon fast abgeklungen, die Blutsäcke unter meinen Augen gleichen beinahe meinen gewöhnlichen Augenringen. Nur mein Kiefer schmerzt noch etwas wenn ich versuche ihn all zu energisch aufzureißen und meine Zähne sind etwas angeknackst. Nichts gefährliches ist mit meinen Zähen passiert, nur nervend. Und ohne Krankenversicherung kann ich zu keinem Zahnarzt, wobei ich mich mittlerweile auch mit dem Gedanken angefreundet habe lieber zum Zahnarzt zu gehen wenn ich wieder in Berlin bin. Was meine Zähne angeht habe ich dann doch eher Vertrauen in die fachmännischen Personen die ich schon etwas länger kenne. Geschlagene drei Stunden habe ich nun in der Notaufnahme gewartet, zerschunden und mit der Gewissheit, dass sich keine meiner Sachen je wiederfinden lassen. Die Sonne ging mittlerweile wieder auf und der draußen vor der Tür begann ein neuer Tag. Ich war derweil so durch mit meinen Nerven, dass ich für die weiße Pracht auf dem Krankenhausparkplatz keinen Blick hatte. Es wäre auch egal gewesen wo ich gewartet hätte, ob im Plastikschalensitz des Hospitalfoyers oder im Polstersessel in meinem zu Hause. Meine Gedanken kreisten nur stoisch um den Stress dieser Nacht, um die genauen Ereignisse des Zwischenfalls, um die wenigen Fetzen an die ich mich überhaupt erinnern konnte und um die Hürden, die in den nächsten Tagen und Wochen auf mich zukommen würden all meine Sachen wiederzubeschaffen. Es ist schon verrückt wenn man bedenkt, dass die Räuber gerade mal 20 Euro in bar und einen abgetragenen Rucksack erbeutet haben, während ich über 300 Euro ausgeben, Zeit und Mühe investieren muss, um ihre Tat wenigstens materiell wieder ungeschehen zu machen. Als ich kurz vor Mittag endlich zurück in meinem Zimmer war fiel ich als bald in einen schüttelnden, schwarzen Schlaf. Zu meiner Überraschung kam in den nächsten Tagen eine Rechnung von 100 Euro ins Haus, dafür dass mir das Krankenhaus nach all der Wartezeit mitteilen konnte, dass meine Nase nicht gebrochen ist. Das ist so einer der kleinen netten Bonusse jener Nacht, die mir wohl so schnell nicht vergessen wird.

Seid dem befinde ich mich in der Warteschleife. Und in den ersten beiden Tage war ich äußerst ausgefüllt damit den neu gefallenen Schnee in eine Plastiktüte zu füllen und mir an mein Gesicht zu halten. Mehr brauchte ich nicht um den Tag passieren zu lassen. Wahrscheinlich hätte ich auch vielmehr gar nicht Zustande bringen können. Einmal davon abgesehen meinen Schlafrhythmus mal wieder gehörig durcheinander zu bringen. Aber das ist ja nichts ungewöhnliches. Und so hab ich angefangen mich auf meine Bank zu setzen in meiner ganz persönlichen Haltestelle und darauf zu warten, dass der Bus vorbeikommt und mich abholt. Das vielleicht etwas passiert, dass einmal mehr alles ändert, oder vielleicht auch nichts passiert und alles so bleibt wie es ist. Die Tage verschwammen und wurden schemenhafter. Zeit verrann zähflüssiger und verlor alsbald jegliche Bedeutung. Ein Gefühl wie zum dritten mal auf seine Uhr zu starren nur um bemerken, dass gerade einmal fünf Minuten vergangen sind, seid dem man das letzte mal drauf gestarrt hat. Eben wie in einer Haltestelle. Die Gedanken schweiften und verloren sich. Und irgendwie war ich zufrieden mit dem Zustand. Zeit für sich haben, kann man das wohl nennen. Oder vielleicht sich in totaler Passivität verlieren. Wer weiß. Aber ich hatte auch einfach keine Lust irgendetwas zu machen. Egal was, es erschien es mir einfach nicht Wert dafür aufzustehen und meine vertraut gewordene Lethargie zu verlassen. Ich glaube mittlerweile, dass ich im generellen dazu tendiere etwas lethargisch zu werden. Daher kommt wohl auch meine chronische Faulheit. Und was ist da ein besserer Anlass als kein Geld zu haben, kein Telefon und keine Idee was im Moment Spannendes passiert. Alles in allem bin ich am Ende der Woche auf tausende Gedanken gekommen, was ich alles an mir ändern könnte, tausende Ideen was ich alles in Zukunft machen könnte und tausende Hindernisse warum ich es nicht gerade in diesem Moment anfange. Einer der profunden Gedankengänge war wohl sich darüber klar zu werden, dass die Welt auch verdammt scheiße sein kann. Was für ein Gedankengang, mag man jetzt sagen. Aber der Clou daran ist eher, dass ich in Momenten wie diesen die Idee von einer scheiß Welt nicht mehr nur abstrakt konstruieren muss, sondern auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen kann. Manchmal tendiere ich dazu die Hindernisse zu verfluchen, die das Leben für uns bereit hält, doch im Moment glaube ich sogar, dass auch diese Hindernisse ihre Daseinsberechtigung haben. Klar ist es upgefuckt was mir da passiert ist und gäbe es eine Möglichkeit es zu ändern, verdammt, natürlich würde ich es ohne zu zögern ungeschehen machen. Aber trotz allem bin ich froh auch solch eine Erfahrung mal durchgemacht zu haben und zu sehen, dass ich immer noch da bin. Ich meine ich wurde beraubt und zusammengeschlagen und doch heilen meine Wunden und in den Läden warten alle Dinge die mir gestohlen wurden. Nichts ist also wirklich verloren. Geld ist nur Geld. Wen schert das schon wirklich. Mit meiner Zeit weiß ich zum größten Teil eh nichts besseres anzufangen, sodass ich auch einen Tag auf der Botschaft auf mein Perso warten kann und mein Körper ist ja auch nicht aus Glas. Das Leben geht also weiter und viel wichtiger: Das Leben ist halt auch mal ausgeraubt und zusammengeschlagen zu werden. Sich Tag für Tag nur nach den angenehmen und schönen Momenten zu sehnen, mag zwar durchaus richtig sein, doch heißt es nicht, dass die negativen Seiten nicht auch etwas spannendes oder wenigstens lehrreiches für uns bereit halten. Wenn man dem ganzen mal gar nichts abgewinnen kann, so macht es doch immer noch eine gute Geschichte. Naja, wenigstens macht eine immer noch eine Geschichte, ob gut oder schlecht. In den langen Tagen zwischen dem Überfall und jetzt bin ich über Geschichte gestolpert, welche sich mit dem Thema akademische Obdachlose befasst. Eine Doku um genau zu sein. Und dabei war es fast grotesk anzuschauen, dass die drei vier begleiteten Obdachlosen nicht über ihr Schicksal sprechen konnten ohne zu lächeln. Es was keinesfalls ein glückliches Lächeln, sondern ein vom Leben gebeuteltes, maskierendes Lächeln. Als würden sie ihrem Gegenüber ihre traurige Geschichte nicht mit traurigem Gemüt erzählen dürfen. Das Lächeln brannte sich förmlich in ihre Gesichter um zu sagen, dass man immer das beste aus dem Leben machen müsste. Nimm das was dir gegeben ist an und versuche das beste aus der Situation zu machen. Lass keinen Platz für negative Emotionen und wenn sie dich doch einholen, dann versuche dich abzulenken oder sie zu vertreiben. Mir kam dabei nun der Gedanke, dass es doch viel wichtiger ist auch diese negativen Gedanken anzunehmen, als sie mit aller Vehemenz abzustreiten. Auch schlechte Laune sollte mal erlaubt sein und vor allem sollte man nicht versuchen diese mit biegen und brechen vor dem anderen zu verbergen und sie ebenso vor sich selbst nicht einzugestehen. Shit happens und das macht uns genauso zu dem Menschen der wir sind, wie die guten Tage die wir durchleben. Oder was sagt ihr?!



Einer der unmittelbaren Gedanke war übrigens endlich wieder etwas in meinen Blog zu schreiben. Was ich hiermit auch getan habe. Auch wenn ich wohl nicht so ganz darauf geachtet habe wo dieser Eintrag eingentlich hin geht. In diesem Sinne: Denk immer an dein Publikum, auch wenn du den Scheiß eigentlich nur für dich selbst schreibst.

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