Wochenend-Gedanken-Schnipsel 2: Kerry
Wie jeder bekanntlich weiß verkaufen sich zweite Teile immer besser als erste Teile, obwohl sie künstlerisch bei weitem nicht so anspruchsvoll sind wie der erste. Was, wenn ich darüber nachdenke irgendwie ja gar nicht stimmen kann. Schließlich wird man den zweiten Teil ja nur lesen, wenn man den ersten auch gelesen hat und wie soll sich denn da der zweite besser verkaufen können als der erste. Zum Glück ist dies auch vollkommen egal, da es einen Punkt sehr schön verdeutlicht, an den ich mich als möchtegern Autor selbstverständlich auch halten werde. Einfach keine Mühe geben und das imaginäre Geld einheimsen. Sollen meine zahllosen (drei) Fans doch davon halten was sie wollen. Wer braucht schon virtuelle Fans, wenn er imaginäres Geld haben kann. Wäre es anders würde Hollywood schließlich nicht so erfolgreich sein. Oder Steven King. Oder Popstars. Hier also der zweite Teil meiner Wochenend-Gedanken-Schnipsel - Kerry:


12 Uhr irgendwas am Morgen. Ich erwache aus einem traumlosen, doch erholsamen Schlaf. Lange habe ich mich nicht mehr so frisch gefühlt, nach einer durchzechten Nacht. Ob es an dem angenehm monotonen Rauschen des Motors lag, an der kühlen Morgenluft in den grün beweideten, weiten Bergen oder dem geborgenen Gefühl, welches der süße Duft meiner Sitznachbarin verströmt, vermag ich nicht zu sagen. Der zarte Lilienduft ist mittlerweile einer süßeren Note ihres Parfüms gewichen. Es ich nicht mehr recht auszumachen welcher Blume diese Nuance folgt, doch weiß ich, dass egal was hier auf mich zukommen mag, ich bin bereit dafür. Aber wo ist dieses HIER eigentlich? Ein Blick auf die vorbeiziehende Landschaft verrät jedenfalls, dass wir Dublin lange hinter uns gelassen haben und die Stadt gegen den verschwommenen Anblick von Wiesen, Feldern und Klippen eingetauscht haben. Rechts von uns zieht eine blau gepunktete Schafherde über das Grass, gefolgt von ihrem äußerst wetterfest eingekleideten Hirten. Ab und an wird sie von einer kleinen Steinmauer aufgehalten, welche sie von dem Grundstück des Nachbarhirten fernhalten soll auf dem sich die rot gepunkteten Schafe tummeln und zufrieden ihren leeren Blick in die Landschaft schweifen lassen. Genau wie ich. Dem Hirten währenddessen durchströmt mit jeder seiner Bewegungen eine Gelassenheit, die darauf deutet, dass er sein Leben lang nichts anderes getan hat als auf seine Schafe aufzupassen und zufrieden feststellt, dass er in seinem Leben nichts anderes mehr machen wird, falls alles in seinen Bahnen bleibt. Womöglich hat er noch nie etwas anderes gesehen als seine irische Insel und doch lässt sich mit einem Blick sagen, dass er nichts in der Welt vermisst. In seiner Gegenwart erscheint die irische Insel wie ein Zufluchtsort in der modernen Welt, ein Ort in dem sich über die Jahrhunderte nichts verändert hat und der technologische Fortschritt höchstens mit elektrischen Licht und der Zentralheizung Einzug gehalten hat. Dieser Eindruck mag natürlich trügerisch sein, doch scheint es auf dem Land doch vieler Orts an Hektik und Wandel zu fehlen. Als wären die Schattenseiten der Globalisierung doch noch nicht in allen Winkeln der Welt angekommen. Und so ist der Hirte mit seiner Herde eines der Urtümlichkeiten des irischen Irlands, für das ich ausgezogen bin.

Auf unserer linken Seite breitet der weite Ozean seine grenzenlosen Wasser aus und umspült die steilen Felshänge mit endlosen Wogen. Welle um Welle prescht an die unnachgiebigen Gestade aus massiven Stein und hundert Meter darüber fahren wir weiter die Straße entlang. In dem kühlen, doch äußerst klarem Wetter erscheint das grau blaue Wasser an der irischen Küste, wie ein Tor in das unendliche Nichts. Hinter dem Horizont verbirgt sich nichts mehr als Wasser. Bis hin zu Amerika finden sich nur Welle um Welle, die im Rhythmus des Windes und der Strömung gegen die Gestade preschen. Ein wenig melancholisch werde ich bei dem Gedanken, dass die See nun alles ist was mich von den Ufern New Yorks trennt. Ein Gedanke der so zahllose Iren schon auf einem Segler anheuern ließ, oder auch den Bau der Titanic veranlasst haben mag, welche ja auch hier irgendwo in Irland vom Stapel gelaufen sein soll. Dies ist also Kerry. Das irische Irland, welches wohl nur noch von Galway oder den Klippen von Moher an Irischness überboten wird. Ein zutiefst beruhigender Anblick, welcher zu einer inneren Zufriedenheit bei mir führt, die diesen Moment zu einem der besonderen werden lässt. Eine Weile genieße ich den Ausblick noch, bis hier und da ein kleines Haus aus Felssteinen in der Landschaft aufblitzt und gleich wieder hinter einer Bergkuppel verschwindet. Ab und an passieren wir sogar ein kleines Dörfchen, in welchem abgesehen von einem Morgans, einem Auld Oak oder O'Brians Pub nichts, aber auch gar nichts nach geschäftlichem Leben aussieht.

Nun frage ich mich allerdings doch ein wenig wo wir eigentlich sind. Und wo wir hier am westlichen Rand von Irland erwarten anzukommen. „Ey Pals! Sorry to bother you, but where is this trip actually heading to?“ höre ich mich sagen und warte dösend auf eine Antwort: „It's not a matter where we are going to. It only matters what we are doing where ever we are. And at the moment we are pleased with driving through the countryside.“ Und irgendwie hat er ja auch recht damit. Bis vor einen Augenblick war ich vollkommen damit zufrieden einfach nur durch die grüne Landschaft gefahren zu werden und meinen Blick durch Kerry schweifen zu lassen. Hier und da ließ ich meine Aufmerksamkeit von einer Pferdeherde auf den Bergkuppeln einfangen oder genoss den Anblick einer kleinen Burgruine, eines Klosters womöglich, lang verlassen. Doch dank dieser unbefriedigenden Antwort kann ich nun an nichts anderes mehr denken, als endlich zu erfahren wo es hingehen soll. Wie kann er meine Frage nur so abspeisen. Glaubt er etwa, dass ich ihm ohne weiteres Glaube, dass wir nur nach Kerry rausgefahren sind, um ein wenig in der Landschaft herumzufahren? Glaubt er, ich denke wir drehen einfach irgendwann um und fahren wieder Richtung Dublin? Einfach weil der Fahrer gerade so drauf ist? Aus purer Lust und Laune? Dieser verfluchte Hippi, denke ich mir und ertappe mich, wie ich mich abrupt gegen diesen Gedanken sperren, der doch auch mich bis jetzt vollkommen ausgefüllt hat. Jetzt ist aber Schluss mit dem melancholischen dösen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. 'At the moment we are pleased with driving through the countryside.' PAH. So ein Unsinn. „Seriously Guys. Where is this fucking trip heading to?“ Darauf muss er Antworten. Wenn ich schon ein zweites mal frage und dann auch noch energisch, bleibt ihm ja gar keine andere Wahl. Und zum Glück liege ich mit dieser Vermutung auch ganz richtig. Nach einem kurzen verdutzten Blick nach hinten sagt der Beifahrer nämlich: „It's supposed to be a surprise, but if you want to spoil it, grand. We are going to kill Arney. If you like it or not.“

Was für ein dämlicher Spruch ist das denn. Dieser Typ schafft es noch mir meine gute Morgen Stimmung zu versauen. Erst geht er meiner Frage aus dem Weg und nun macht er noch einen dummen Witz um mir eine anständige Antwort schuldig zu bleiben. „Very funny guys. But you should know that I'm normally not joining some total strangers into their weekend trips to a remote edge of the world, without even knowing where it's going to end. So just tell me where we are going!“ Und ein weiteres mal treffe ich auf taube Ohren. Was haben sich diese verfluchten Baumliebhaber nur eingeschmissen um solch einen schlechten Humor zu entwickeln: „We are going to kill Arney and there is nothing you can do about it. Maybe you shouldn't join weekend trips of total strangers if you can't stand the consequences. And if you don't stop nagging, I gone put an end to this, right now!“

Dies war bei weitem noch nicht das Ende dieser Unterhaltung. Doch umso länger sich das Gespräch mit dem Beifahrer hinzog, desto mehr geriet es sich im Kreis zu drehen. Das einzige was sich mit jedem Durchlauf veränderte war, dass er genervter und genervter von mir wurde und ich mehr und mehr in Panik geriet, dass er vielleicht doch keinen Scherz gemacht hat. 'Kill Arney!' klingt es immer und immer wieder in meinem Kopf. Hier kann doch was nicht stimmen. Ich hab mich ja schon damit abgefunden nun nicht mehr der Arne aus Dublin zu sein und in Kerry mein weiteres Auslandslebensjahr zu gestalten. Vielleicht wäre ich ja sogar einer dieser Schäfer geworden, die so gemütlich an uns vorbei gezogen sind. Doch das geht mir eindeutig zu weit. Es ist eines sich einem spontanen Wochenendtrip nach Kerry anzuschließen aber etwas vollkommen anderes nun das Opfer einen hinterhältigen Entführung zu werden. Wer kann schon sagen, ob ich wirklich in einem Auto voll Hippies gelandet bin. Ist es nicht genauso gut möglich, dass ich es hier mit einer irischen Mansonfamilie zu tun habe, die es auf ahnungslose ausländische betrunkene Studenten abgesehen hat. Oder vielleicht sind das ja die letzten Überbleibsel der IRA, die in mir sowas wie nen Sinnbild für den Verlust der irischen Werte und der Globalisierung und Zeug sehen und von daher ein Exempel an mir statuieren wollen. Ist ja auch viel wahrscheinlicher. Erst locken sie ein Opfer mit Schnaps, Bier, Wein, Gesang und der Einladung eines verführerischen Mädchens und Zack ist man in der Falle. Deswegen haben die auch gestern so exzessiv gefeiert. Das war alles eine wilde Orgie am Vorabend der richtigen Bescherung. Ein Blutopfer für ihren satanistischen Gott, ihren geisteskranken Sektenführer oder wen auch immer. Bestimmt haben sie sich alle in der Küche getroffen als ich mal kurz auf Klo war und haben mich als ihr nächstes Opfer ihrer mörderischen Pläne auserkoren. Haben sie sich nicht auch gestern Abend die ganze Zeit diese verschwörerischen Blicke ausgetauscht? Oder bilde ich mir das jetzt nur im Nachhinein ein? Nein eigentlich bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher, dass hier was im Argen liegt. So etwas passiert doch nie ohne Hintergedanken. Wer lädt denn einfach aus purer Freundlichkeit einen Fremden zu ner Spritztour ein. Es handelt sich hier also um eine Verschwörung. Ganz sicher eine Entführung mit Mordabsichten. Dass der Beifahrer nicht peilt, dass er gerade die finsteren Absichten direkt in das Gesicht des Opfers gesagt hat, liegt wohl daran, dass er noch benebelt ist von letzter Nacht. Vielleicht hat er auch nur den Namen mitbekommen und weiß gar nicht wer ich bin. 'Kill Arney' das ist schon sehr eindeutig. Wie soll man denn da irgendetwas anderes verstehen, als das offensichtliche? Er weiß sicher nur nicht, dass ich Arney bin. Arne kann hier ja keiner richtig aussprechen. Und genügend mal hab ich auch nachgefragt. Das er eigentlich was anderes gesagt hat, ich mich nur verhörte oder er sich von mir aus auch versprochen haben mag, kann man also ausschließen. Es kann sich nur um unglaubliches Glück handeln, dass ich ihrem satanistischen Ritual auf die Schliche gekommen bin.

Also dann mal an einen Fluchtplan. Wer weiß wie lange die Fahrt noch geht und ob es noch eine Möglichkeit gibt zu fliehen wenn wir erst einmal das alte verlassene Landhaus erreicht haben, zu dem sie mich zerren wollen, von mir aus den versumpften, vermoderten Steinkreis, das verschworene Separatistendorf oder was auch immer. Nein die Flucht muss jetzt erfolgen. Bei der nächsten Kurve, wenn der Fahrer abbremst. Äußerst schnell ist er hier ja eh nicht unterwegs. Mit einem gezielten Hechtsprung kann ich mich sicher über die nächste Steinmauer retten und in die kargen Büsche schlagen. Da kann ich jetzt auch keine Rücksicht mehr nehmen, dass ich wohl meine verhängnisvolle Sitznachbarin wecken werde, wenn ich überraschend den Gurt öffne, die Türklinke herunterreiße und panisch das Weite suche.

Auf drei. Eins. Zwei. „There we are. Kill Arney!“ unterbricht mich der Beifahrer Millisekunden bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte und zeigt auf das nächste Ortsschild. 'Welcome to Killarney!' ist darauf groß zu lesen und ich falle kurz darauf in eine traumlose Ohnmacht.

2 Uhr irgendwas am Nachmittag: Ich erwache im Aufenthaltsraum eines Hostels. Von den anderen ist keine Spur. Auch sonst ist hier rein gar nichts los. Ist vielleicht auch besser so. Nach dem Schock bin ich heil froh, wenn ich von denen erst mal keinen so schnell wieder sehe. Keinen? Mh... Ja erst mal keinen so schnell wieder sehe. Aber wer kann auch ahnen, dass sie hier in Irland wirklich einen Ort Killarney nennen. Ich meine, wie stehen denn dafür die Chancen bitte! Und dass die Spritztour dann auch noch direkt dahin führt. Eigentlich doch vollkommen unmöglich würde man denken. Aber vielleicht ist es in diesen Situationen auch viel besser ein wenig vom Denken Abstand zu nehmen und das Glück auszunutzen so lange man es hat. Ich mach mich jedenfalls von den unglaublichen Chancen beflügelt am besten gleich in den nächsten Supermarkt auf und kaufe ein paar Lotterielose. Da muss ja förmlich der Jackpot auf mich warten. Am besten ich hole mir diese Rubbellose. Da kann ich meinen Gewinn gleich bar auf die Hand haben. Der Jackpot ist zwar nur 10.000 Euro aber man möchte ja auch nicht zu gierig wirken. Auf dem Weg dahin kann ich mich auch gleich ein wenig umsehen. Nur nichts wie raus aus diesem Hostel. Der Rezeptionist hat schon so ein komischen Blick auf mich geworfen. Und diesmal bilde ich mir das keineswegs ein. Auf der Straße scheint nicht viel los zu sein. Im allgemeinen scheint in Killarney nicht so viel los zu sein. Aber wenigstens verspricht das Wetter recht sonnig zu bleiben, obwohl man sich da nie so sicher sein kann. Schließlich wurde man schon oft genug vor den unvorhergesehbaren Regenschauern gewarnt. Wohin soll es nochmal gehen? Ah ja. Rubbellose... und ein wenig Tabak wäre auch nicht schlecht. Rubbellose, Tabak und eine Kleinigkeit vom Bäcker. Genau. Das sind jetzt die Prioritäten. Aber als aller erstes Rubbellose. Dann weiß ich gleich wie viel Geld ich fürs Frühstück auf den Kopf hauen kann. Wer würde sich denn schon mit einem kargen Croissant abgeben wenn er gerade 10.000 Euro in Rubbellosen bei sich trägt. Da sollte es dann doch eher das Ritz in Killarney sein. Oder eben ein entsprechendes Restaurant was sich hier finden lässt. Nur noch ein kurzer Check ob alles noch da ist und dann geht’s los auf die Straße: mein Hut ist noch auf dem Kopf, die Brille auf der Nase, die Tasche um die Schulter geschwungen und die Pfeife... die kommt am besten gleich in den Mund. Nur wo ist denn eigentlich mein Regenschirm? Hab ich den überhaupt mitgehabt? Das lässt sich wohl im Moment nicht nachvollziehen. Am besten ich merke es mir einfach und schaue das nächste mal wenn ich wieder in Dublin bin zu Hause vorbei um zu gucken ob er nicht doch in meinem Zimmer abmarschbereit neben der Tür lehnt. Ich werd sicher nach drei oder vier Monaten eine Gelegenheit finden meine Schafe von dem rotgepunkteten Schäfer babysitten zu lassen und mir eine nette Hippigemeinschaft suchen, die mich übers Wochenende nach Dublin mitnimmt.

Die Rubbellose haben mir leider nicht den erhofften Jackpot vergönnt, aber dafür konnte mir der Verkäufer das 'Neptune Hostel' empfehlen. Dort scheinen seid gestern einige Studenten aus der Hauptstadt eingekehrt zu sein, zu denen mich der Ladenbesitzer im ersten Momenten sogar zuordnete. Vielleicht kann ich mich ja einfach bei einer Gruppe dazustellen und so tun als wäre ich schon die ganze Zeit dabei gewesen. Ist auf jeden Fall besser als Killarney allein zu erkunden. Wenn es hier überhaupt noch etwas gibt, dass ich noch nicht bei meinem kurzen Spaziergang zum Supermarkt gesehen habe. Nur noch schnell ein Tabak und Frühstück gekauft und schon kann's weiter gehen. Die Mahlzeit fällt am Besten flüssig aus Carlsberg oder Beamish. Was auch immer billiger ist. Mit nem Stout in der Hand und der Restfahne von gestern sollte ich mich jedenfalls perfekt in die Studentengruppe einfügen können.

Als ich am 'Neptune Hostel' ankam wurde ich auch sogleich in einen der Reisebusse der Studenten geschoben, um zu den Sehenswürdigkeiten der Region zu fahren. Nun hab ich ja in den letzter Zeit ein wenig an Spontanität dazugewonnen und fühl mich auch recht in der Stimmung auf touristischen Museumsspass. Also melde ich mich einfach wahllos als die Namen für die Anwesenheit ausgerufen werden und versuche mich unauffällig und geschmeidig mit ein paar Studenten vertraut zu machen. Glücklicherweise habe ich mich direkt in ein Bündel von französischen Austauschstudenten gesetzt, welche alle kaum ein Wort von dem verstehen was ich sage und selbst für die simpelsten Antworten eine halbe Ewigkeit brauchen. Ich möchte ja nicht Allgemeinplätze über Franzosen loslassen und hier einmal mehr das Klischee des sprach-intoleranten Franzosen bestärken, aber auf der anderen Seite war der halbe Bus gefüllt mit dieser spezifischen, im allgemeinen Durchschnitt sicher verschwindend geringen Art von Franzosen. Soll mir recht sein. So fällt es wenigstens nicht auf, dass ich neu bin. Sicher finden sich über den Tag auch noch andere Gesprächspartner. Bei einer gemütlichen Museumstour lässt es sich doch unverfänglich ins Gespräch kommen, während man von einer älteren Dame oder einem gelangweiltem jungen Iren Fakten über die Region, ihre späte Elektrifizierung, den Widerstand gegen die englische Besatzung oder auch Halbwahrheiten über die Zeit der Wikinger in Irland an den Kopf geschmissen bekommt und auf Anhieb auch schon wieder vergessen hat. Wo lässt es sich besser Kontakt schließen als bei dem Anblick eines urtümlichen Wasserfalls inmitten des Killarney Nationalparks bei bestem Sonnenschein? Womöglich nur bei einem Besuch in einem beeindruckenden Landhaus des früheren Lords oder bei einem Spaziergang durch einen grotesk gepflegten englischen Garten, ohne je sagen zu können, dass es sich um einen englischen Garten handelt. Schließlich ist man ja in Irland und in Irland käme man nie auf die Idee auch nur irgendetwas Englisches zu übernehmen. Gerade von diesen Engländern nicht, die ja all die Jahrhunderte ihre Besatzung über Irland mit berühmt und berüchtigten eisernen, erbarmungslosen Blasiertheit durchgesetzt haben. Dass es an jeder Ecke Fish and Chips zu kaufen gibt, Yesterday trotzdem zu den berühmtesten Publiedern zählt und Irisch unter den Iren immer noch als tote Sprache gilt, hat damit ja nun wirklich nichts zu tun. Wie auch immer es sich abspielen mag, wird sich schon ein Gesprächsthema und ein Gesprächspartner finden lassen.

21Uhr irgendwas. Nach zahlreichen Stunden voller Ausblick, Natur, Kultur, Geschichte und Zeug sind wir wieder in Killarney angekommen. Hier nennen mich die Leute bereits vertraut Bob und der Präsident des Reisekomitees hat mir ein Bett im Zimmer der Organisatoren verschafft. Ein bisschen frage ich mich noch was nun eigentlich aus Robert Patrick Fitzpatrick geworden ist, dessen Platz ich im Bus eingenommen habe. Aber wie wir so im irischen Pub sitzen der urtümlich irischen Irish-Folk Band zuhören und urtümlich irischen Jameson Whiskey trinken (denn der irische Whiskey nennt sich Whiskey und nicht Whisky) verliert sich dieser Gedanke so schnell wie er gekommen war. Und irgendwie heißt hier ja jeder Robert Patrick oder wenigstens Fitzpatrick. Wie hätte es auch anders sein können, wird gerade Yesterday in einer äußerst verschrammelten Pubversion zum besten gegeben als der Schweizer von der Bar wiederkommt. Das ist dann aber auch das Letzte Pint bevor es weiter in den Nachtclub geht. Seid 19 Uhr wechseln sich der Schweizer und ich schon ab mit den Gängen zum Barkeeper. Sei es um einem den Weg zu sparen oder auch nur um die sozialen Geflogenheiten der Kontaktvertiefung unter Alkoholikern zu fröhnen. Wenn der andere einen auf ein Bier einläd, dann läd man den anderen eben danach auf ein Bier ein. Klar hätte man auch sein eigenes Bier holen und bezahlen können, schließlich läuft es im Idealfall auf nichts anderes hinaus. Aber auf diese Weise kommt man sich doch viel sozialer vor.

22Uhr im Nachtclub. Tatsächlich hat Killarney einen Nachtclub. Leider ist von diesem nicht viel zu erkennen. Ein paar unglaublich Betrunkene der Dorfjugend sind am Eingang noch zu erkennen gewesen, auch wenn ich nicht so recht nachvollziehen kann, wie man um diese Uhrzeit schon dermaßen betrunken sein kann. Schließlich haben wir uns auch nicht gerade zurückgehalten und sind mit unserem Pegel bei weitem noch nicht auf ihrem Niveau. Aber wer seid Jahren eine Sperrstunde um 22 Uhr in seine Tradition übernommen hat (ich möchte ja nicht sagen, dass diese Tradition vielleicht von England eingeführt worden sein könnte), der weiß wohl den ein oder anderen Trick, wie man auch in wenig Zeit das meiste aus der Alkoholsortiment herausholt. Nachdem wir nun die betrunkene Dorfjugend passiert haben betreten wir tanzwütig den Club. Oder besser gesagt, wir betreten ein Meer aus Trockeneisnebel, der von allen erdenklichen Richtungen in den Saal geblasen wird. Ich hatte ja schon länger den Eindruck, dass es in den irischen Nachtclubs nicht besser um die Tanzenden bestellt ist als in den Diskos Hohenschönhausens, aber dass sie sich dafür schämen ist mir neu. Nun gut. Seien sie unter den Wogen von Nebel versteckt. Die Gruppe mit der man hergekommen ist lässt man einfach nicht weiter als eine handbreit von sich entfernen und die Bargänge bestreitet man bei späterer Stunde eh besser zu zweit. Hier ist die Gefahr einfach zu groß das Guinness des anderen versehentlich über einen muskelbepackten Einheimischen zu gießen, weil man keinen Pfad durch die Menge findet und von jeder Seite versehentlich angerempelt werden kann. Wenn man nicht gerade selbst versehentlich allemöglichen Leute anrempelt.

2 Uhr irgendwas. Nun ist aber auch mal gut mit Kustnebel. Da kann man ja genauso wenig Atmen wie im Abbey Theatre. Und irgendwie habe ich auch den Verdacht, dass es sinnlos wäre zu versuchen sich meine erschnorrte Zigarette in diesem Dunstkeller anzuzünden. Ein Feuerzeug braucht ja schließlich auch Sauerstoff zum atmen, wenn man das mal so sagen darf. Also mal mit dem Schweizer vor die Tür gegangen und eine geraucht. Ist ja jetzt auch die erste seid Stunden. Dieses Rauchverbot, richtig durchgesetzt verleitet einen wirklich weniger zu rauchen. Da muss ich mich langsam ernsthaft dem Gedanken stellen, ob mich das nicht in meiner persönlichen Raucherfreiheit einschränkt. Aber sei's drum, heute ist jedenfalls nicht der Tag an dem man in wildem Protest ausbricht. Das heißt ja nicht, dass man sich nicht lautstark über die Vorzüge unserer Berliner Raucherklubs und Raucherräume in Bars unterhalten kann. Ist zur Abwechslung auch nett mal wieder ein Wörtchen in Deutsch zu unterhalten. Und wie sich herausstellt hat der Schweizer sogar einen Namen. Max nennt sich der Knabe aus den Alpen. So stehen wir vor dem Eingang des Clubs und tauschen uns über irische Irischness aus, was alles in Deutschland anders ist, was alles in der Schweiz anders ist und wie unglaublich cool es doch ist in Berlin zu wohnen. Ein Thema an dem ich eigentlich noch nie vorbeigekommen bin, nachdem zur Sprache kam, dass ich aus Berlin komme. Ich habe langsam sogar den Eindruck, dass es für so ziemlich jeden anderen vollkommen unverständlich ist, warum ich aus Berlin nach Dublin gekommen bin, wo doch jeder eine Meinung über Berlin hat und jeder früher oder später schon einmal da war, wieder hin will oder nach einer Möglichkeit sucht längere Zeit nach Berlin zu kommen. Das erklärt wenigstens, warum man an der FU so unglaublich viele Zugezogene findet. Student in Berlin zu sein, scheint jedenfalls unglaublich hip und wenn man dann noch 100 Euro Begrüßungsgeld erhält, erübrigt sich jede weitere Diskussion. Nach der zweiten oder dritten Zigarette in der Kälte mischt sich überraschenderweise ein anderer Clubgänger in unser Gespräch, da er mitbekommen hat, dass wir uns auf Deutsch unterhalten. Normalerweise ist es keine große Sache, sich auf Deutsch zu unterhalten und man wird sogar eher etwas ausgeschlossen sobald man in die Muttersprache wechselt. Ist ja auch nur verständlich, schließlich haben die anderen ja keinerlei Schimmer über was man sich da eigentlich unterhält. In dieser Situation hat es sich allerdings aus einem guten Grund anders ergeben. Diese vollkommen nüchterne Person namens Jack hat uns bewusst wegen unseres deutsch sprechens angesprochen. Er scheint ein Freund des Präsidenten des Reisekomitees zu sein und dreht gerade einen Studentenfilm in Galway. Er berichtet uns, dass er nach Killarney gefahren ist um seinen guten Freund den Präsidenten zu besuchen und hat von ihm erfahren, dass es auch ein paar Deutsche in der Reisegruppe gibt. Weiter erklärt er uns, dass er gestern Nachmittag in einem riesigen Streit mit einem seiner Schauspieler auseinander gegangen ist, welcher kurzerhand das Set verlassen und seine Rolle geschmissen hat. Der Grund warum er gerade an uns herangetreten ist, ergibt sich daraus, dass er einen Kurzfilm über einen Deutschen Wehrmachtsoffizier dreht und dieser Schauspieler die Nebenrolle eines deutschen Soldaten spielen sollte. Seid dem versucht er verzweifelt das Drehbuch umzuschreiben oder einen Ersatz für seine Rolle zu finden, hatte allerdings bis jetzt so kurzfristig keinerlei Glück dabei. Und hier kommen wir ins Spiel. Da Max leider das Kostüm nicht passen würde bietet er mir kurzerhand die Nebenrolle für einen Drehtag in Galway an. Zum Ausgleich kümmert er sich um Kost und Logis versteht sich.

Schiebt es auf den Alkohol oder von mir aus auch auf meine neugewonnene Spontanität aber ich habe keinen Moment gezögert um dieses verrücke Angebot anzunehmen. Ein Sonntag auf einem Filmset in Galway. Wer könnte da nein sagen, der nicht gerade bei vollem Verstand ist. Aber was es nun mit Galway auf sich hatte, bleibt wohl vorerst in der Hand des Schriftstellers und ein paar ausgewählter Eingeweihter. Oder wie man es auch mit großen Worten schöner sagen kann: Galway ist eine andere Geschichte.

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der andere arne, Saturday, 4. December 2010, 05:24
Eigentlich bräuchte dieser Eintrag noch eine Überarbeitung, aber dazu werde ich wohl nie die Lust finden. So fällt dieser Text wohl unter die Rubrik: Dieses Werk ist stilistisch gesehen von post kohärenten Zügen geprägt, während es ebenso repräsentativ für die wirren Fassetten der Pre-Apocalypse ist

mauricethecat, Sunday, 5. December 2010, 12:28
Ein Fortsetzungsroman - wie schön! Geschichten, die nie ein Ende finden haben doch auch etwas für sich. :)

dj..., Friday, 7. January 2011, 03:47
Hey Arne,
ich habe nun endlich, nach deiner Erinnerung, dass es diesen Blog noch gibt, weitergelesen, und muss sagen, dass ich die Geschichten wirklich gut finde. Diese hier besonders, von wegen ungeordneter Stil! Bin sogar auf das Wortspiel reingefallen und hatte nen richtigen, amüsierten Aha-Effekt, als das Ortsschild kam...
Entschuldige mir die Frage, aber hat diese Geschichte tatsächlich einen Anspruch auf uneingeschränkte Non-Fiktionalität? Wenn ja, cool. Mir gefällt die Spontaneität des Protagonisten, sowie vielschichtige und authentische Erzählweise. Weiter so! (Fühl dich davon nicht unter Druck gesetzt.)

DJ