Wochenendfetzen 3: St. Patrick's Day
In außergewöhnlichen Zeiten ist es notwendig auch eine außergewöhnliche Zeiteinteilung zu finden. Und jeder der das Gefühl kennt einmal nicht so recht zu wissen ob der Tag an dem er aufwacht nun eher ein Montag oder ein Donnerstag ist und jeder der das Gefühl kennt einmal aufzuwachen und nicht recht weiß ob der Tag überhaupt dazugehört oder nur dient um die Lücke zwischen Gestern und Morgen auszufüllen aber eigentlich doch nicht so recht als Tag gewertet werden sollte, jeder derjenigen weiß, dass Donnerstage dazu tendieren sich in das Wochenende einzuschleichen. Sie imitieren sozusagen die Gewohnheiten vom Freitag. Oft bedient sich ein solcher Donnerstag der Tarnung durch einen Feiertag. Ohne die Routine des gewohnten Alltags schafft er es den Wecker des Betroffenen auszuschalten und somit die innere Uhr vom Work-Mode in den Party-Mode zu schalten. Wenn man so will schaffen es außergewöhnliche Donnerstage also die Kunst der Camouflage zu nutzen zu ihrem eigenen und unserem Vorteil. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass es sich bei den folgenden Zeilen zwar um kein Wochenende im herkömmlichen Sinne handelt, jedoch sehr wohl zu einem der außergewöhnlichen Wochenendschnipseln beitragen kann.


Donnerstag 2 Uhr irgendwas nachts in einer dunklen Ecke des Cobblestone Pubs (für diejenigen die den ersten Paragraphen nicht verstehen: es ist Freitag 2 Uhr nachts und somit ja auch irgendwie schon Wochenende):
'St. Paddy ist nicht irgendeiner dieser verstaubten Heiligen, die ein paar Tausende zu diesem einen Glauben konvertiert haben, oder sich auf einem Dorfplatz öffentlich verbrannt haben lassen nur um in der Ewigkeit der christlichen Annalen einen ruhigen Platz zum bewundert werden zu finden. Nein Paddy hat im Gegensatz dazu wirklich etwas Nützliches vollbracht. Natürlich hat er auch das übliche Handwerk von Taufereien und Wundern auf dem Petto, ist ja klar. Das hat ja auch jeder andere seiner Kollegen. Warum also nicht auch unser Paddy. Das gehört ja schließlich zur Berufsbeschreibung eines Heiligen. Und natürlich hat er eine ähnlich rührende und bewegte Lebensgeschichte, so wie jeder andere Heilige auch. Aber das war für Paddy nur eine Fingerübung. Eine Checkliste die er abgehackt hat bevor er zu dem wirklich beeindruckenden Sachen kam. Diese Kinkerlitzchen machen gerade mal die erste Seite von den großen Geschichten des heiligen Patricks aus.'

'Ich hab dich nicht gefragt was St. Patrick gemacht hat, sondern was DU am St. Patrick's Day gemacht hast!' Aber diese Anmerkung überhört mein Gegenüber getrost. Ob gewollt oder ungewollt kann ich nur schwer ausmachen. Dafür dass er meinen verzweifelten Versuch auf das eigentliche Thema zurück zu kommen geflissentlich ignoriert, spricht wohl sein überschwänglicher Enthusiasmus mit dem er seine ausschweifende Geschichtsstunde eingeleitet hat, sowie sein äußerst fortgeschrittener Alkoholpegel, der sogar meinen Alkoholkonsum in den Schatten stellt. Für die Möglichkeit, dass er wirklich nicht gehört hat was ich ihm sagen wollte, spricht besonders die Lautstärke der Band im Hintergrund, die wie eigentlich überall in der Stadt ihr Repertoire der beliebtesten Irish Pub Songs zum Besten gibt. Während mein Gegenüber als Antwort auf meinen Kommentar nur mit dem Kopf nickt und einen guten Schluck aus meinem Guinness nimmt, muss ich unwillkürlich darüber staunen, dass sich seid nun mehr über zwei Stunden keines der Lieder wiederholt hat. Sicherlich, sie hören sich für den ungeübten Touristen fast alle gleich an und selbst für den Betrunkenen Iren ist es nicht das geringste Problem in den Refrain einzustimmen, was nicht gerade auf die Virtuosität des Songwriters spricht. Doch einen Langzeitgast wie mich verwundert es immer wieder wie viele beliebteste Pub Songs es doch in Irland gibt. Und wo man überall auf sie stößt. Natürlich findet man sie nie jenseits des vom Großstadttouristen überlaufenden Carroll's oder eben außerhalb eines Pubs. Wäre wohl auch etwas komisch die beliebtesten Pub Songs nicht in einem Pub zu erwarten, aber wirklich beeindruckend ist in wie vielen der Pubs heute der Folk Einzug gefunden hat. Und mit welchem Elan er auf die Straßen der Stadt getragen wird. Neben den Hintergrundgeräuschen der Band ist natürlich auch der äußerst fortgeschrittene Alkoholpegel meines Gegenübers ein Zeichen, dass er meinen Kommentar nicht zur Kenntnis nimmt. Wobei der Fakt, dass ich es nicht herausfinden kann wiederum für meinen Alkoholkonsum am heutigen Tage spricht.

'Nicht nur wurde unser Paddy schon als zehnjähriger von Sklavenhändlern verschleppt. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn er sechzehn gewesen wäre oder so. Das wäre ja was anderes. Da könnte man ja noch sagen, dass er selbst schuld hat. Da hat der Teenager eben nicht genug auf sich selbst aufgepasst, dass ihn die Sklavenhändler geschnappt haben. Aber mit zehn. Mit zehn weiß man es ja noch gar nicht besser. Da kann man sich ja noch gar nicht gegen solche Bastarde wehren. Und als er dann sechzehn war. Da hat er aber auf sich aufgepasst. Da ist er abgehauen und hat sich in nem christlichen Kloster versteckt. Ist ja auch ne klevere Sache bei den abergläubischen Sklavenhändlern sich in nem Kloster zu verstecken. Die würden ja nie nen Haus Gottes plündern. Wie dem auch sei. Ist er dann nach Irland zurückgekommen und hat Leute getauft. Als Erster wohl gemerkt. St. Patrick war der Erste der uns Iren was über Jesus erzählt hat. Na und so iss a nun unser Schutzheiliger. Der der Iren meine ich.'

Während mein Gast auch noch den kümmerlichen Rest meines Guinness, den er beim ersten Schluck noch rücksichtsvoll übrig gelassen hatte, seine Kehle runter laufen lässt, frage ich mich 'Warum hab ich dich eigentlich neben mich setzen lassen? Warum konnte ich nicht einfach sagen, dass mein Freund nur kurz auf Klo ist und gleich zurückkommt?' Nicht ganz sicher ob ich diesen Satz wirklich gedacht, oder nicht doch laut gesagt habe, fällt mir bei einem kurzen Blick auf meinen Gegenüber die Antwort schlagartig wieder ein. 'Er ist der erste Ire dem du heute über den Weg gelaufen bist. Die roten Haare waren Grund genug für dich. Und er hat sich nicht einfach zu dir gesetzt. Du warst es der ihn eingeladen hat eine Runde mit zutrinken, wenn er dir eine gute Geschichte erzählt.' War ich auch nicht ganz sicher ob sich der erste Gedankengang nur in meinem Kopf oder auch in der Welt da draußen abgespielt hat, bin ich jetzt doch überzeugt, dass mindestens der letzte Satz von Basti kam, der gerade von der Bar die nächste Runde geholt hat. 'Und eine gute Geschichte wollen wir jetzt auch hören.'

'Wenn du über Meerjungfrauen denkst, dann stellste dir die Geschichten von Peter Pan vor, von Arielle und Konsorten. Aber was nur wenige wissen, iss, dass die Meerjungfrauen eigentlich von Irland kommen. Bloß waren sie damals noch nicht so handzahm wie die Hollywoodfiguren. Damals hatten sie noch Fischschuppen zwischen den Fingern, dutzende Reizzähne im Maul und Fischspeck unter den Kiemen. Jeder Fischer lief Gefahr aus heiterem Himmel von einer Meerjungfrau angefallen zu werden. Egal ob auf einem Fluss, einem See oder aufm Meer. Die zog einen dann in die offene See und verspeiste einen bei lebendigem Leib. Pure Bestien waren diese Meerjungfrauen. So abgrundtief böse wie die irische See tief ist und der so unberechenbar wie der Sturm der auf ihr tost. Heil froh können wir sein, dass wir die los sind. Und dass unser guter Paddy sie für uns losgeworden ist. Das war ne richtige Heldentat von Paddy. Die Meerjungfrauen aus Irland zu vertreiben. Genauso wie die Schlangen. Nicht nur hat der heilige Patrick nämlich die Meerjungfrauen von Irland vertrieben. Nee, auch die Schlangen hat er uns vom Hals geschafft...'

Auch wenn ich nun dank Basti weiß was unseren rothaarigen Freund zu unserer Runde gebracht hat und dank unserem rothaarigen Freund was unser Paddy alles getan hat um unseren Aufenthalt auf dieser schönen Insel so angenehm wie möglich zu gestalten. Mir ist noch nicht so recht klar, was mich überhaupt zu so später Stunde noch in das Cobblestone getrieben hat. Ich kann mich noch genau daran erinnern wie wir gemeinsam heute morgen aus der Haustür gegangen sind. Basti Steffi und Ich …


12Uhr irgendwas morgens: to be continued

Kommentieren