Dark sides / Schattenseiten Teil 2
Sein größter Wunsch war es wieder nach Hause zu kommen. So schnell wie möglich. Am besten noch am selben Tag. Und ich muss eingestehen, dass es mir da sehr ähnlich ging. Ich wäre am liebsten wieder durch meine alte Kinderstube gewandert und hätte die Zeit der letzten Jahre zurückgedreht, um alles so vorzufinden wie in den Tagen meiner Jugend. Ein Ort der Heimat zu haben. Das Gefühl die Familie zusammen sitzend am Kaminfeuer zu sehen. Dabei hatten wir nicht einmal einen Kamin. Aber in dieser einschneidenden letzten Woche sehnte ich mich nach idyllischer, heiler Welt. Die mich eine weitere Woche später wohl schon unglaublich gelangweilt und angekotzt hätte. Auch ist es selbstverständlich nicht so, dass sich nun kahle Wände mit staubverhangenen Vorhängen abwechseln und ein allumfassender Schatten den Ort meiner Kindheit in graue Schleier taucht. Natürlich gibt es mittlerweile eine neue Farbe, die die Räume mit Leben füllt. Die Kerben am Türrahmen sind längst schon mit Spachtel und Gips ausgebessert und durch neue ersetzt worden. Doch tröstet mich dieser Gedanke nicht über mein Gefühl mich von dem Platz meiner Heimat entfremdet zu haben. Ein Stück Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen zu haben. Da hat das Leben mal wieder einen Sprung nach vorne gemacht, ohne mich zu fragen, ob ich nicht lieber noch etwas länger geblieben wäre.

Nach Hause zu gehen, war also so unmöglich wie blödsinnig. Doch oft schwirrte mir diese Vorstellung im Kopf herum, wenn ich das Krankenzimmer betreten habe in dem mein Vater lag. Er wurde schon einige Tage zuvor von der 'Stroke' Station in dieses Vierbettzimmer zur weiteren Beobachtung verlegt. Es wurde mir gesagt, dass es sich anscheinend nicht um einen schweren Schlaganfall gehandelt hat, oder dass der Schlaganfall zumindest frühzeitig entdeckt und behandelt werden konnte. Es muss wohl am Morgen des vorigen Sonntags passiert sein. Nach diesen wenigen Wochen die nun verstrichen sind fällt es mir noch genauso schwer mir vorzustellen, wie er aus seiner Wohnung gekommen sein muss, um im Treppenhaus herumzuirren, unfähig zu sprechen, unfähig Hilfe zu rufe bis er vielleicht erst nach Stunden von einem seiner Söhne gefunden wurde. Von da an schien alles ganz schnell zu gehen. Krankenhaus. Notaufnahme. Operation. Stroke Station. Warten.

Zwischen diesem Sonntag und dem darauffolgenden Donnerstag schien eine Ewigkeit zu liegen ohne, dass ich mich auch nur im geringsten daran erinnern könnte was in ihr stattgefunden hat. Eine Ewigkeit in angespanntem, schockiertem und zitterndem Warten. Keine Ereignisse. Nur einmal mehr das Gefühl an der verhassten Bushaltestelle zu warten und sich eingestehen zu müssen, dass der eisige Wind stärker geworden ist. Zu bemerken wie er sich mit unerbittlicher Vehemenz seinen Weg durch jede noch so kleine Lücke in der Kleidung sucht, um seine Kälte bis in das Mark der Knochen zu tragen.

Der Satz den ich mich in der folgenden Woche wohl am häufigsten sagen hörte war, wie erschreckend und niederschmetternd es ist den Mann im Krankenbett sitzen zu sehen, der dich großgezogen hat und festzustellen, dass er deinen Namen nur noch an guten Tagen findet. Dass er keinen Satz ohne Hilfe beenden kann und im selben Moment noch so stur wie früher ist. Dass er nicht einsieht, wie ernst die Lage um ihn stand. Wie ungeduldig und zugleich hilflos er im Krankenzimmer umherläuft. Wie sehr er einfach nur nach Hause möchte und man ihm und sich selbst einreden muss, dass es nicht möglich ist ihn nach Hause zu lassen. Doch wie sollte man es ihm in solch einer Situation auch verübeln. Schließlich gibt einem das eigene zu Hause doch das Gefühl sich geborgen und sicher zu fühlen. In seiner Hilflosigkeit nicht Herr über seine eigene Lage zu sein und von einem Tag auf den anderen, von einem Moment zum nächsten, die Worte zu verlieren sich auszudrücken, weckt doch den Wunsch sich wenigstens in der gewohnten, vertraut gewordenen Umgebung wiederzufinden.

Um dem ganzen ein wenig die Härte zu nehmen, möchte ich noch sagen, dass er sich letztendlich brav gefügt hat und nun in einer vorzüglichen Reha in Kladow untergekommen ist, in der man ihm sicherlich liebevoll von einer Sprachtherapie zur nächsten Ergotherapiesitzung jagt, ihn mit Schwimmaerobic und Massagen überhäuft, so dass er kaum Zeit finden wird seine Wohnung zu vermissen. Auch ist ein Schlaganfall nicht das Ende und so wie ich den alten Herren kenne, wird er sich auch einmal mehr wieder aufraffen. Nur braucht es eben seine Zeit. So wie es meine Zeit braucht um dass alles zu verarbeiten und zu akzeptieren. Wo ich mittlerweile auch auf dem rechten Weg bin wie ich glaube. Jedenfalls ging es in den letzten Tagen doch wieder etwas Berg auf mit der Justierung zwischen meiner Gefühlswelt und deren Ausbrüche in unpassenden Situationen. Die Schlafstörung ist zwar noch geblieben, aber ob das nun eine Nachwirkung ist, oder doch nur die innere und äußere Zeitverschiebung kann höchstens die Wissenschaft feststellen. Wozu ist die denn schließlich sonst gut?

Schluss

Kommentieren



ohrenbaer, Saturday, 5. March 2011, 20:11
Hm, hab mir ja sowas schon gedacht. Scheiße, man. Das ist ja echt zum Kotzen.